Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat der
französische Stromkonzern Electricité de France (EDF) im Frühjahr 2009 bei der
Atomaufsicht beantragt, in seinen 1300-MW-Reaktoren neue
Kernbrennstoffe einsetzen zu dürfen. Zum 1300-MW-Atompark gehören auch die vier
Reaktoren am Standort Cattenom im Dreiländereck SaarLorLux.
Die „Autorité de sûreté nucléaire“, die französische
Atomaufsichtsbehörde, hat zwischenzeitlich dem Antrag stattgegeben und Anfang
Dezember 2009 – nach Rücksprache mit EDF – einige
Auflagen für den Betrieb mit
dem neuen Nuklearmaterial erteilt.
Der neuartige Kernbrennstoff zeichnet sich durch einen
wesentlich höheren Anteil an spaltbarem Uran-235 aus. Werden in den meisten
Druckwasserreaktoren Brennstäbe eingesetzt, deren Uran-235-Anteil auf 3-4 %
angereichert wurde, so sollen künftig an mindestens acht französischen
Kraftwerksstandorten die neuartigen Brennstoffe mit 4,5 % Spaltmaterial zum
Einsatz kommen. Bei EDF spricht man von Kernbrennstoffen „HTC“ (Haut Taux de
Combustion = mit hoher Abbrandrate): Ihr „Abbrand“ – ein Maß für die
energetische Nutzbarkeit des Brennstoffs - wird auf durchschnittlich 60 GWd/t
(Gigawatt-Tage pro Tonne) geschätzt. Der herkömmliche Brennstoff bringt es
bislang auf 40-50 GWd/t.
Mit dem schrittweisen Umstieg auf die neuen Kernbrennstoffe
geht auch eine veränderte Reaktorführung einher. Das mit dem Kürzel „Galice“ (1)
bezeichnete Verfahren geht von einem flexibleren Brennstoffeinsatz und längeren
Zeitintervallen zwischen dem Wechsel der Brennelemente aus. Wurden bei dem
derzeitigen Verfahren „Gemmes“ die 1.300-MW-Reaktoren nach 18 Monaten zum
Brennelementwechsel abgeschaltet, so soll das Verfahren „Galice“ Intervalle bis
zu 21 Monaten ermöglichen.
Die Einführung des neuen Brennstoffs und die geänderte
Reaktorführung sind rein betriebswirtschaftlich begründet: Die längeren
Intervalle zwischen dem Wechsel der Brennelemente vermeiden die langen Phasen
des Stillstands der Reaktoren, erhöhen ihren Auslastungsgrad und senken die
Arbeitskosten. Darüber hinaus erhofft sich EDF, Entsorgungs- und Transportkosten
zur Wiederaufbereitungsanlage einzusparen, da mit weniger abgebrannten
Brennelementen zu rechnen sei.
Dass die Einführung des HTC-Brennstoffs aber auf Kosten
der Reaktorsicherheit und der Umweltqualität gehen kann, wird von den
Kraftwerksbetreibern gerne verschwiegen. Entsprechende ernsthafte Bedenken
wurden für Cattenom bereits im Rahmen des letzten Genehmigungsverfahrens für
radioaktive Ableitungen im Jahr 2003 laut. Dort hatte EDF im Vorgriff auf die
Einführung von HTC und „Galice“ eine Anhebung der Grenzwerte für das radioaktive
Wasserstoffisotop Tritium im Abwasser beantragt. Schon im aktuellen
Reaktorbetrieb stellt Tritium eine ärgerliche Begleiterscheinung dar. Die realen
Tritium-Emissionen, die in die Mosel abgegeben werden, reichen bis nah an den
genehmigten Grenzwert heran und können – laut EDF – nicht zurückgehalten werden.
Im Genehmigungsverfahren 2003 hat EDF darüber hinaus erreicht, dass im Modus „Galice“
statt der bislang erlaubten 40 TBq (= Billionen Becquerel) pro Reaktor und Jahr
Spitzen bis zu 48 TBq zulässig sind.
Neben dem Aspekt zusätzlich zu erwartender radioaktiver
Umweltbelastungen sind bei „Galice“ auch Bedenken hinsichtlich der
Reaktorsicherheit angebracht. Nicht zu Unrecht wies der unabhängige
Informationsdienst
WISE-Paris schon 2003 darauf hin, dass die Einführung von „Galice“
vergleichbare Probleme wie die Einführung des Modus „Gemmes“ ab dem Jahr 1996
mit sich bringen könnte. „Gemmes“, mit dem das Brennstoffwechsel-Intervall von
12 auf 18 Monate getrieben wurde, wird für das Phänomen des sog. Fretting
verantwortlich gemacht: Vibrationserscheinungen im Reaktorkern, die serienmäßig
in nahezu allen 1.300-MW-Reaktoren zur Beschädigung von Brennstäben und zur
Kontamination des Primärkreislaufs führten. „Galice“ steht nun im Verdacht -
angesichts der längeren Verweilzeiten der Brennelemente im Reaktor – diese
Erfahrung zu wiederholen.
Die EDF wird auch der deutschen Öffentlichkeit zu beweisen
haben, dass Cattenom nicht zum Experimentierfeld für neue Brennstoffe und
Betriebsmethoden werden soll.
(1) Das Kürzel „Galice“ steht für „Gestion avec
Augmentation Limitée de l’Irradiation pour les Combustibles en Exploitation“
(Reaktorführung mit beschränkt erhöhter Bestrahlung des eingesetzten
Brennstoffs)
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